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Coffee to go...

6:06 Uhr. Der Wecker klingelt. Meine Augenlider schlummern ruhig. Mein warmer, entspannter Körper möchte noch zwei weitere Snooze-Einheiten mit der kuscheligen Bettdecke schmusen.

Doch das Gehirn hat den schrillen Alarm gehört und schaltet sich langsam vom Standby- in den Aktiv-Modus. Die Gedanken und To Do’s des Tages schleichen sich ratternd heran, doch das Getriebe des Körpers will nicht mitmachen. Er streikt. Schließlich ist diese friedliche Ruhe sehr viel attraktiver als die hektische Welt, die mich außerhalb des Bettes begrüßen wird.


6:16 Uhr. Ich versuche, die Stimme des Gehirns zu ignorieren, indem ich die Decke über meine Ohren ziehe. Doch ich höre diesen schlauen Fuchs trotzdem. »Raus aus den Federn, der Tag beginnt!«, kommandiert das Gehirn. »Ich will nicht, will nicht, will nicht«, erwidert mein entspannter Körper.

Jeden Morgen bin ich Bill Murray in »Täglich grüßt das Murmeltier«. Jeden Morgen diskutieren Gehirn und Körper miteinander. Und täglich gewinnt mein waches Gehirn über meinen noch schläfrigen Körper. Schließlich kennt mein Gehirn das Geheimrezept, das Zauberwort. Das magische Wort, das meinen schlummernden, ausgeruhten Körper in einen kribbelnden, freudigen Zustand wechseln lässt. Es flüstert mir und meinem Körper in einer süßen Stimme zu: »Kaffee. Mach Dir erst einmal einen Kaffee«.


Kaffee. Mein treuer Freund und Dealer, der mir über Jahre hinweg heiter einen Guten Morgen wünscht und mir genau das gibt, was ich brauche.

Kaffee. Mein eigener Miraculix Zaubertrank, der mich gestärkt und achtsam in den Tag starten lässt und mich gegen die Antagonisten des Alltags wappnet.

Kaffee. Mein Wachmacher, der mich ruhende Raupe aus meinem komfortablen Bettdecken-Kokon krabbeln lässt und meine Füße zum Flattern bringt.

Tatsächlich lebe ich täglich meine ganz eigene Interpretation des Begriffes »Coffee to go«, denn einzig der Gedanke an den morgendlichen Kaffee bringt meine Füße zum Gehen. Sie wuchten sich aus dem Bett, berühren den kalten Boden und tapsen zielgerichtet in die Küche. Sie verwurzeln sich fest und sicher vor der Kaffeemaschine und warten dort auf ihr Lebenselixier.


6:22 Uhr. Meine Augen fixieren die Kaffeemaschine, die sich auf die Zubereitung meines morgendlichen Cocktails vorbereitet. Alle Systeme im Kaffeemaschinen-Cockpit werden überprüft, um einen sicheren Start in den Tag zu garantieren. Wassertank gefüllt? Check. Restwasserschale entleert? Check. Milchdüse gespült? Check. Bohnenbehälter aufgefüllt? Check. Die Kaffeemaschine gibt ihr Go für die Kaffeeauswahl.

Ein Display voller Möglichkeiten leuchtet mir entgegen. Ein Schlaraffenland der Kaffeevariationen wird mir zur frühen Morgenstunde angeboten. Cappuccino, Flat White, Espresso, Ristretto, Latte Macchiato oder einfach nur ... Kaffee. Ich verspüre Dankbarkeit, dass mein Tag mit so vielen Auswahlmöglichkeiten beginnt. Mit Freude bewegt sich mein Zeigefinger Richtung Auswahltaste, berührt die Taste leicht und drückt dann entschlossen auf »Flat White«.


6:24 Uhr. Die Zubereitung eines Kaffees ist ein Konzert für die Sinne. Meine Augen sehen die tanzenden Bohnen und ihre eleganten Drehungen im Strudel des Mahlwerks. Meine Ohren hören die kleinen, knackigen Bohnen, die durch das Mahlwerk gerieben werden und sich im Inneren der Maschine mit dem Wasser verbinden. Meine Nase riecht das Aroma des frisch-aufgebrühten Kaffees, das in mir ein Gefühl der Gewohnheit und Verbundenheit auslöst.

Ich beobachte genau wie die Kaffeemaschine die schwarze Flüssigkeit frei gibt; wie der Kaffee am Rand der Tasse hinabläuft und sich am Tassenboden ansammelt. Ich weiß, dass die perfekte Kaffee-Komposition noch nicht vollendet veredelt ist. Die Geräusche der Milchschaumdüse stimmen mir zu. Meine Hüfte bewegt sich zum gleichmäßigen Takt der Milchdüse. Die Düse verwandelt die kalte Milch, die zügig durch den Schlauch hindurch rennt, in einen sanften, zarten Schaum.

Eine weiße, leichte Decke von Milchschaum legt sich auf meinen Kaffee. Es ist die Begrüßung zweier alter Freunde. Kaffee und Milchschaum umarmen sich innig als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Der Kaffee ruht friedlich und der Milchschaum knistert zufrieden in meiner Tasse des Genusses. Die Flat White Komposition ist bereit für meinen Geschmackssinn, meinen Körper, für mich.


6:26 Uhr. Ich stehe am Küchenfenster. Fest umschlungen halte ich Dich in beiden Händen und schaue hinaus in die erwachende Welt. Alles ist schon in Bewegung. Die großen Bäume dehnen sich im Wind, das laute Vogelzwitschern fliegt durch die Luft, die vollen Wolken rasen am Himmel vorüber. Ich höre den Sekundenzeiger der Küchenuhr, doch ich lasse mich nicht hetzen. Für einen kurzen Moment sind wir zwei nur für uns. Du und ich. Ich genieße diese Zweisamkeit, auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Du gibst mir ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit, wie wir hier gemeinsam stehen. Wie wir an nichts Konkretes denken, sondern einfach nur gemeinsam sind. Im Hier und Jetzt.

Ich trinke Dich ganz bewusst. Das bin ich Dir, meinem treuem Freund, einfach schuldig. Alle Geschmacksknospen auf meiner Zunge nehmen Dich wahr, sowohl Deine schaumige, weiche Art als auch Deine bittere, strenge Seite. Du bist warm, nicht zu heiß. Du bist kräftig, nicht zu stark. Du bist weder zu süß noch zu sauer, du bist genau richtig. Du schmiegst dich an meine Zunge, wanderst langsam und geschmeidig durch meinen Hals hinunter. Du wärmst meinen Körper von innen und bringst mein Blut zum Fließen.

Du gibst mir diesen Kick, diesen perfekten Start in meinen Tag. Dabei bist Du nicht nur Koffein für mich. Du bist auch meine morgendliche Erinnerung, mehr Achtsamkeit in meinen Tag zu lassen. Und so nehme ich Dich bei jedem Schluck genau wahr. Ich konzentriere mich nur auf Dich, du zauberhaftes Heißgetränk.


6:37 Uhr. Der erste Schluck ist so perfekt wie der letzte Schluck. Unsere Quality-Zeit neigt sich dem Ende zu. Ich muss nicht betrübt sein. Ich weiß, dass wir uns morgen wiedersehen. Du bist mein Start, meine Routine, meine Tradition am Morgen. Und ich bin jeden Tag dankbar für diese elf gemeinsamen Minuten voller Genuss mit Dir.

Nach dieser Zeit bin ich für alles bereit. Ich bin gestärkt für die vorbeirasenden Termine, die Aufgaben auf meiner Tagesliste, für die Menschen da draußen. Nun bin ich wachsam, achtsam, stark und gelassen.

Wir sehen uns morgen wieder, mein lieber Freund. Dank Dir, dass Du mich zum Gehen und zum Bewegen aufgeweckt hast. Du bist einfach mein liebster »Coffee to go«.

 
 
 

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