»Du covidst mich mal!« - Das Statement einer Spülmaschine...
- Held Stories
- 20. Mai 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2023
Das Jahr 2020 fing so normal an. Alles lief nach geordneten Bahnen und ich liebte meinen geregelten Tagesablauf.
Am Morgen war es meist nur für eine Stunde etwas hektisch bei uns in der Küche. Doch nachdem ich ruckzuck mit zwei leeren Kaffeetassen, Frühstücksbrettchen und verschmierten Buttermessern gefüllt war, wurde es wieder still und friedlich in meinem Revier. Denn dann waren meine berufstätigen Besitzer wieder Vollzeit unterwegs und ich selbst jobbte mich mehr im Chillen statt Spülen.
Es war die Zeit des Tages, an der ich mich voll und ganz meinen Sinnen hergab und mich niemand störte. Ich hörte, wie der Kühlschrank versuchte, sich gluckernd kühl zu halten, während die morgendlichen Sonnenstrahlen über seine Oberfläche funkelten. Ich sah die Kaffeemaschine, die aufgewärmt von ihrem Morning Workout, verschwitzt aber zufrieden im Standby-Modus ruhte. Ich hörte den Wasserhahn rhythmisch und freudig tropfen. Ich roch die angebrannten Krümel des alten, müden Toasters in der Luft.
Ja, die Zeit zwischen 8:30 Uhr und 17 Uhr, sie gehörte ganz uns. Sie war unsere lange Siesta, unser tägliches Sabbatical, unsere gesunden Smoothie-Stunden des Tages.
Wir brauchten diese Ruhe vor dem Sturm. Denn wir wussten, dass unsere Arbeit anfing, wenn sie bei unseren Besitzern endete.
Um 17 Uhr kam er meist nach Hause. Wenn sie die Haustür gegen 18 Uhr aufschloss, waren auch wir »Open for Business«. Der Kühlschrank präsentierte sein volles Sortiment. Gemüse, Fleisch oder Fisch wurden unter dem Wasserhahn gewaschen und auf der Anrichte vorbereitet. Der Herd ließ seine Platten glühen und gab den Pfannen Feuer unterm Hintern. Die gesamte Crew war auf Vollantrieb unterwegs und wir servierten unseren Besitzern das, was sie brauchten: Ein wunderschönes, gemeinsames Abendessen, ihr eigenes kleines Sabbatical nach einem anstrengenden Arbeitstag.
Während sich dann die Kaffeemaschine für ihr abendliches Espresso-Intermezzo anschaltete, bereitete auch ich mich für meinen ganz eigenen Nachtisch vor. Ich nahm Kartoffelkrümel, Saucenkrusten, Fettreste entgegen und ließ dreckige Teller, Töpfe, Pfannen, Weingläser und Besteck in mich sortieren. Ich schluckte den Tab und spülte im Trab. Für mich war einfach nichts zu dreckig, denn einmal am Tag war ich der Meister Proper der Küchengeräte, spülte alles spiegelblank. Ja, das war die perfekte Work-Life Balance. Ich liebte es. Genauso wollte ich leben.
Und dann? Dann änderte sich alles im Frühling 2020.
Wenn ich noch einen Menschen höre, der sagt, man solle Covid-19 als Chance sehen, dann laufe ich über. Wenn noch einer erwähnt, dass Covid-19 eine Grippe ist, dann brennt meine Sicherung durch. Wenn mir noch ein Mensch zuruft, man solle jetzt seine Träume realisieren, dann rufe ich: »Du covidst mich mal!« Versteht mich nicht falsch. Ich bin nicht frustriert. Ich bin einfach nur müde.
Denn mit der Quarantäne ist nichts wie zuvor. Auf einmal sind unsere Besitzer Vollzeit zu Hause. Aus unserer friedlichen Harmonie wurde ein verrücktes Homeoffice; aus der Ruhe-Oase ein lauter Zoom-Zoo; aus dem Zweimann-Haushalt ein kleiner Restaurantbetrieb.
Einfach so wurden wir in das Pandemie-Powerprogramm gepusht. Kitchen Aid ist kein Gerät mehr, sondern unser Lebensmotto. 24/7 sind wir im Einsatz. Zu Beginn nahmen wir alle diese Herausforderung motivierend an. Die Kaffeemaschine wurde zur Heldin der Krise und zauberte Espressi, Flat Whites und schwarzen Kaffee im Zweistunden-Takt aus ihrem Mahlwerk. Der Kühlschrank gewöhnte sich an das volle Völlegefühl und kühlte cool seine Extraportionen an Nahrungsmitteln. Der Herd war Kantinenchef am Mittag und Sternekoch am Abend und ging vollkommen in seiner Rolle auf. Und ich? Ich war der Patrick Swayze der Küchengeräte und tanzte Dirty Dancing mit dem dreckigen Geschirr. Und das die ganze Zeit, mindestens dreimal am Tag. Aber ganz ehrlich: This is not the time of my life!
Nach nun schon sieben Wochen sieht man uns die harte Arbeit einfach an. Die Kaffeemaschine sehnt sich nach einem neuen Filter und fordert unseren Besitzer seit zwei Wochen jeden Morgen dazu auf. Der alte Toaster qualmt immer öfter geschafft in seiner Ecke, er wird es nicht mehr lange machen. Der Wasserhahn tropft nicht mehr rhythmisch, sondern ist träge und still geworden. Und ich? Ich sehe den Klarspüler vor lauter Geschirr nicht mehr.
Und ständig zuppelt jemand an mir herum. Ich werde aufgemacht, Kaffeetasse eingeräumt, zugemacht. Ich werde aufgemacht, Teller rein, zugemacht. Ich werde aufgemacht, Wasserglas rein, zugemacht. Mit jedem weiteren Tag in Quarantäne frage ich mich, wie viele Wassergläser zwei Personen an einem Tag noch nutzen möchten. Da trennen sie wie die Verrückten den Müll, diskutieren stetig über den Klimawandel, aber können ein Wasserglas nicht den ganzen Tag nutzen? Leute, mein Eco-Friendly Programm holt Euch nicht aus diesem Schlamassel raus, ehrlich nicht!
Gleichzeitig nehmen die lauten Diskussionen darüber, wer mich zuletzt ein- oder ausgeräumt hatte, immer mehr zu. Auf einmal wird Schnick-Schnack-Schnuck über mir gespielt und der Verlierer wird mit jedem Tag missmutiger. Ich bin echt baff. Geht es noch? Ich mache doch schon die ganze Drecksarbeit. Ausräumen ist doch echt ein Klacks. Keep calm und räumt mich aus, Mann!
Ich weiß, das ist Meckern auf höchstem Niveau. Ich bin froh, dass ich nicht wie meine Kantinen-Freunde in Kurzarbeit gehen musste oder wie meine Nachbarin in einer Großfamilie arbeite. Und ich weiß, ich bin nur eine Spülmaschine.
Gewiss, ihr sollt Euch abends nicht auf den Balkon stellen und den Spülmaschinen da draußen applaudieren. Schließlich bin ich kein Arzt, kein Logistiker, kein Kassierer, keine Pflegekraft. Ich bin nur Deine Spülmaschine. Doch ein wenig lindere auch ich Deinen Alltagsstress, spüle nie in Leerfahrten, bin kostenlos für Dich rund um die Uhr da und pflege Dich und Dein altes Geschirr tagein und tagaus.
Ein wenig mehr Wertschätzung für das, was ich gerade leiste, das wünsche ich mir. Wenn Du mich also das nächste Mal stöhnend aufmachst und genervt bist, weil Du mich mal wieder ausräumen musst, dann halte vielleicht kurz inne, bemerke wie systemrelevant ich zumindest für Dich und Deinen Haushalt bin und sei mir einfach dankbar.
Dann tanz ich auch weiter den Mambo mit Deinem dreckigen Geschirr. Deal?
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