Rock 'n' Roll Baby: Heute bin ich wieder Kind...
- Held Stories
- 29. Aug. 2018
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2023
Warum wollten wir eigentlich als pubertierende Mädchen so schnell erwachsen werden? Was war in unseren Augen bloß so romantisch an diesem Erwachsensein?
Reife. Selbständigkeit. Entscheidungsfreiheit. Unabhängigkeit. Sex! Drogen! Rock ’n’ Roll!
Die Erwachsenenwelt schien einfach zu verlockend für uns. Wie Speedy Gonzales stürmten wir so schnell wie möglich dem Abschluss unserer Adoleszenz entgegen.
Wir rissen die Poster der Kelly Family mit vollem Eifer von unseren Kinderzimmerwänden, zwängten uns in das maßgeschneiderte Erwachsenen-Kostüm und unternahmen alles, um ernst genommen zu werden.
Sicherlich, unser Argumentationstalent war noch wenig ausgereift und Diskussionen mit den, in unseren Augen so uncoolen, Eltern endeten oftmals in einem Gebrüll von »Das ist nicht fair. Nie darf ich [füge eine Ü20-Aktivität ein]. Ich [Gegenteil von LIEBEN] Euch!«.
Verrückt. Dabei wissen wir nun im Nachhinein, dass diese so uncoolen Eltern doch ziemlich cool waren. Sie waren unsere edlen Ritter, die uns vor den bösen Drachen und Monstern der Verantwortung schützen wollten. Sie taten alles, damit wir uns noch nicht mit dem Loch Ness Monster des Lebensunterhaltes, dem Big Foot der schweren, monatlichen Rechnungen, den bürokratischen und politischen Drachen des Gesellschaftslebens und den heranschleichenden Gespenstern der tiefen Falten und grauen Haare auseinandersetzen mussten. Sie wollten, dass wir noch ein wenig länger in unserem Turm mit Barbie und Ken spielen und die Leichtigkeit als Prinzessin genießen konnten.
Und wir? Wir wollten mit Scooter so richtig »Hyper Hyper« auf einem Motorrad durchbrennen. Mit unserer fehlenden Volljährigkeit suchten wir den Adrenalinkick vor den angesagten Clubs des Dorfes. Wir zitterten bei der Frage, ob der Türsteher uns die Tore zur Erwachsenenwelt öffnen wird. Wir freuten uns maßlos, wenn er uns den ausgefüllten BH und den geborgten Ausweis der älteren Freundin abnahm. Denn das bedeutete, dass wir es geschafft haben. Für eine Nacht tanzten wir den Tanz der Erwachsenen.
Es ist irgendwie umgekehrte Psychologie. Wenn wir Jugendliche sind, wollen wir erwachsen sein und die Nächte zum Tag machen. Wenn wir Erwachsene sind, wollen wir einfach nur ungestört wie ein Kind acht Stunden am Stück schlafen.
Gewiss, wir sind keine Kinder mehr. Und es ist gut, dass wir bei einer Schweigeminute nicht lauthals quieken. Dass wir kulinarische Amuse-Gueule-Liebesbotschaften aus der Restaurantküche nicht, mit Füßen auf dem Tisch, trotzig verschmähen. Dass wir das Nasebohren in der Öffentlichkeit unterlassen. Dass wir bei Rot stehen und bei Grün gehen.
Und trotzdem. Als erwachsene Frauen sehnen wir uns manchmal zurück in unser gemütliches, wohlbehütetes Nest. Wir wollen unseren Samstagabend wieder mit unseren Eltern und Thomas Gottschalk bei »Wetten, dass..?« verbringen.
Statt auf dem Laufband wie Hamster zu schwitzen, wollen wir Fangen spielen bis wir außer Atem sind. Wir wollen mit statt gegen unsere Freundinnen im Kirschkernweitspucken antreten. Wir wollen Pommes statt 4-Gänge Menü. Minigolf statt Business Golf. Pop statt Klassik.
Aber wie können wir diese Leichtigkeit und Freude, die wir als Kind jeden Tag erlebt haben, wiederfinden und wieder (be)leben?
Wir könnten auf der Kirmes unserer wilden Maus begegnen und beim Achterbahnfahren laut aufschreien. Wir könnten ein Ed von Schleck, einen Flutschfinger oder ein anderes dieser schlüpfrigen Eisspezialitäten mit voller Lust und ohne Hintergedanken genießen. Wir könnten schaukeln gehen und dabei wieder jauchzen und lachen wie kleine Mädchen. Wir könnten uns bei Schneeballschlachten verausgaben oder Wasserbomben von den Dächern werfen.
Oder wir starten noch einfacher und hören auf, uns selbst zu ernst zu nehmen. Wir stoppen den stetigen Vergleich mit anderen Frauen und sind einfach nur wir selbst. Ich bin ich und Du bist Du. Wir sind unterschiedlich einzigartig und wir sind beide nicht perfekt. Warum verstecken wir uns beide also immerzu hinter dieser gleichen perfekten Fassade, die sich unsere Gesellschaft so wünscht?
Wir müssen unsere Haut nicht mit unseren zahlreichen Pinseln und Pudern ersticken und unseren Haaren ihren wilden Charakter mit dem Glätteeisen ausbügeln. Wir können stattdessen an Sonn- und Feiertagen einfach einmal das Top Model zu Hause lassen. Sei so locker drauf wie Deine Locken und genieße »so fresh and so clean clean« die Natur und Dich!
Wir müssen beim Joggen nicht jedes Mal unsere Spitzenrekordzeit toppen und dabei sekündlich unsere Puls-Uhr und wöchentlich unser Gewicht kontrollieren. Wir können auch einfach nur die frische Luft genießen und die tolle Laufstrecke bewundern. Wenn wir entdecken, dass Sport ein Hobby und kein qualvoller Akt des Abnehmens ist, dann purzeln sicherlich auch die Kilos. Freu Dich an der Bewegung und inspiriere andere Läufer mit Deiner »I like to move it move it« Ausstrahlung!
Wir müssen auf der Arbeit nicht »Ice Ice Baby« sein und zum Lachen in den Keller gehen. Wir können in Führungspositionen auch über uns selbst lachen und werden trotzdem ernst genommen. Wir dürfen humorvoll sein und auch einmal eine verrückte Idee laut aussprechen. Keine Sorge, wir waren als Kinder schon auf dem Höhepunkt unserer genialsten und originellsten Ideen. Phantasievoller als unsere imaginären Freunde wird es nicht mehr. Also, sprich deine kreativen Ideen aus und mach Dir nichts daraus, was die anderen Menschen denken könnten!
Verkompliziere Dein Leben nicht. Lebe Deine Gefühle wie ein Kind. Lache laut, wenn Dir nach Lachen ist. Weine, wenn Dir nach Weinen ist. Frag nach Hilfe, wenn Du nicht mehr weiter weißt. Lass Dich einfach einmal in den Arm nehmen. Nimm Deine besten Freundinnen an die Hand. Springe tobend in die Pfützen der regenreichen Tage und baue die phantasievollsten Sandburgen, wenn die Sonne scheint.
Kein Kind sollte zu früh erwachsen werden. Aber wir Erwachsenen sollten häufiger wieder Kind sein.
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