Sharing is (not?) caring...
- Held Stories
- 14. Aug. 2018
- 4 Min. Lesezeit
Dieses Teilen. Schon als kleines Kind haben wir sehr schnell mit dem Teilen Bekanntschaft gemacht und fanden dies meist nicht so gut. Im Sandkasten wollten wir unser Spielzeug selbst behalten und dieses ungern mit unseren Freunden, unseren Geschwistern oder gar unserer Sandkastenliebe teilen.
In dieser Zeit war »MEINS« eines unserer Lieblingsworte. Wir ähnelten der Schar an Möwen aus dem Animationsfilm »Findet Nemo«, die ihre Beute mit starrem Blick ansahen und wie wild alle »Meins! Meins! Meins!« durcheinander riefen. Im Gegensatz zu den Möwen verliehen wir Kinder diesem Ausruf aber noch eine besondere Stärke, indem wir unsere Schmollmünder aufpumpten und unseren tränenreichen Augen freien Lauf ließen.
Es ist zwar etwas Zeit vergangen als ich ein kleines Kind war, doch geändert hat sich an diesem Kinderverhalten nichts. So war ich beim letzten Besuch auf dem Spielplatz Augenzeugin, wie sich zwei kleine Parteien krächzend um das mitgebrachte Laufrad stritten. »Meins! Meins! Meins!«, schallte es im Echo über den Spielplatz. »Ihr müsst lernen, zu teilen«, belehrten die Mütter ihre krähenden, kleinen Möwen.
Seltsam, dass sich daran noch nichts geändert hat. Schließlich leben wir heutzutage in einer Welt des Teilens. Wir teilen Autos und Roller in den deutschen Großstädten. Wir teilen unsere Arbeitsplätze in Co-Working Büros. Wir teilen unsere beliebte Stadtwohnung mit uns gleichgesinnten Airbnb-Weltenbummlern. Wir teilen Werkzeuge und Bücher über Internetseiten. Wir teilen die Nutzungszeit dieser Ressourcen mit anderen Menschen und fühlen uns wohl mit unserem temporären Besitz. Das Teilen ist unser neues Haben. Wir sind die Sharing-Generation.
Heißt dies, dass Kinder vielleicht auch gerne teilen würden, wenn sie eine Minutenpauschale für ihre Sandschaufel erhielten? Statt »Meins! Meins! Meins!« würde der Kinderchor auf dem Spielplatz dann vielleicht »Deins! Deins! Deins! Für nur 20 Cent pro Minute« singen.
Versteh mich nicht falsch. Ich liebe die Sharing-Konzepte. Ich fahre sehr gerne mit den weißen »Autos zum Mitnehmen« oder auch dem Konkurrenten »Jetzt fahren« durch die Großstadt. Car-Sharing ist für mich sowohl mit Freiheit, Sorglosigkeit und Flexibilität als auch mit Neugier und Gemeinschaftssinn verbunden. So frage ich mich manchmal, wer das geliehene Auto nach mir fahren wird und wohin seine Innenstadt-Reise ihn wohl führt. Zu einem Meeting, einem Date, zum Sport, ins Kino, ins Theater, zur Familie?
Manchmal frage ich mich auch, wer das Auto vor mir gefahren hat und stille meine Neugier mit meiner detaillierten Detektivarbeit.
»Huch, diese Person muss aber in Hektik und Stress gewesen sein«, denke ich in meiner Naivität, wenn ich das Auto im halben Halteverbot oder schräg auf einer Feuerwehrzufahrt öffne. »Eine große Person, lange Beine, Topmodel!«, staune ich und rücke den Sitz weit nach vorne in meine eigene Sitzposition. »Eindeutig ein Mann auf dem Weg zu einem fantastischen Date«, folgere ich und versuche den Namen des männlichen Männerparfums, das den Innenraum des Autos erfüllt, zu erschnüffeln. »Ein Auto-Raucher«, schmunzle ich und lasse den Seitenfenstern freien Lauf nach unten. »Eine Party-Gang und die Folgen ihres vierten Feierabendbieres«, spekuliere ich und sammle die kleinen, umherhüpfenden, leeren Schnapsfläschchen zusammen. »Ein Hundebesitzer«, lache ich beim Entdecken der Hundehaare im Fußraum und stelle mir verschiedene hechelnde Hunderassen auf ihrer abenteuerlichen Stadtfahrt vor. »Ein achtloser Hundebesitzer!«, schnaufe ich und schaue wütend auf den mit Matsch-Hundepfoten beschmutzten Beifahrersitz.
Es ist kein Geheimnis, dieses Teilen hat auch seine Sharing-Schattenseiten, denn in jeder Gemeinschaft finden sich ein paar wenige schwarze Schweinchen. Allerdings würden diese Schweinchen mit ihren eigenen Autos gewiss besser umgehen. Wenn man etwas nicht selbst besitzt, schätzt man es scheinbar weniger.
Ist Teilen also nicht nur das neue Haben, sondern auch die verlorene Wertschätzung? Ist Sharing not caring?
Wir teilen nicht nur Wertgegenstände in der Offline-Welt, sondern auch unser Leben in der Online-Welt. In sozialen Netzwerken sind wir eingebettet in einem Geflecht aus alten Schulfreunden, ehemaligen Kollegen und fernen Partybekanntschaften. Mit den meisten dieser Bekanntschaften haben wir uns seit Jahren nicht direkt ausgetauscht. Stattdessen verfolgen wir ihr Leben anhand ihrer einwandfreien Einträge und fantastischen Fotos und sind durchgehend im »Gefällt-mir«-Modus. Aber erfahren wir dadurch, wie es ihnen wirklich geht? Eigentlich wissen wir nicht, ob ihre Eltern wohlauf sind. Ob ihr Beruf sie erfüllt. Ob sie sich gut in die neue Mutterrolle eingefunden haben. Ob sie die Trennung gut überstanden haben. Wir wissen tatsächlich nicht, was sie wirklich bewegt.
Auch wir selbst schmücken unser Selfie-Ich im weltweiten Netz mit fabelhaften Fotos, visionären Videos und eindrucksvollen Einträgen. Dabei verstecken wir unser echtes Ich, indem wir bunte Filter über unsere wahren Emotionen und Gefühle legen. Natürlich ist es gut, dass wir unsere Ängste, Zweifel und Stimmungstiefs nicht mit den fernen dreihundertsechzig Facebook-Freunden teilen. Es wäre jedoch noch besser, wenn wir gleichzeitig die Fake News über uns reduzierten und die Laptoptastatur und den Handydaumen einfach einmal ruhen ließen.
Doch irgendwie bemühen wir uns, unser fiktives statt unser wahres Ich mit den doch so fernen Bekannten zu teilen. Ist dies das moderne MitTEILEN unserer Gesellschaft? Ist Sharing nur noch das oberflächliche caring?
Wann hast Du zuletzt mit jemandem Deine wirklichen Gefühle, Gedanken und Zweifel geteilt? Wann hast Du zuletzt etwas geteilt ohne dabei sofort eine Gegenleistung zu erwarten? Wann hast Du zuletzt mit einem Fremden Dein Lächeln geteilt?
Wir leben in der Großstadt mit tausenden von Menschen anonym nebeneinander. Doch gleichzeitig bietet uns dieser große Lebensraum unendlich viele Möglichkeiten, viel achtsamer und wertschätzender miteinander umzugehen.
Wir könnten unsere Dankbarkeit teilen, indem wir der Kassiererin im Supermarkt tief in die Augen schauen und ihr von Herzen einen schönen Tag wünschen. Wir könnten unseren Gemeinschaftssinn teilen, indem wir den Personen in der U-Bahn, mit denen wir morgens wie Pinguine eng beieinander stehen, einfach einmal einen »Guten Morgen« wünschen. Wir könnten unseren Humor teilen, indem wir einen lieben Gruß für den nächsten Car-Sharing Nutzer auf einem Post-It hinterlassen. Wir könnten unsere Hilfsbereitschaft teilen, indem wir die schweren Einkaufstüten unserer Nachbarin in den dritten Stock tragen. Wir könnten unsere Höflichkeit teilen, indem wir Müttern und ihren Kinderwägen wieder die Türen aufhalten. Wir könnten unseren Respekt teilen, indem wir einfach einmal einen kurzen Plausch mit einem älteren Menschen führen und ihm so das Gefühl geben, nicht allein zu sein.
Wir könnten ohne Minutentarif die Zeit mit unseren Liebsten teilen. Wir könnten Ihnen einen gutgemeinten Ratschlag geben, wenn sie sich verloren fühlen. Ihnen eine tröstende Umarmung schenken, wenn sie traurig sind. Ihnen helfen, auch wenn sie nicht nach Hilfe gefragt haben. Mit ihnen unser herzhaftes Lachen teilen, wenn sie glücklich sind. Wir könnten viel öfter unseren Gefühlen freien Lauf lassen und unseren Liebsten regelmäßig mitteilen, dass wir sie lieb haben. Wir könnten einfach unser wahres Ich mit ihnen teilen. Und auch sie könnten ihre vielschichtigen Facetten mit uns teilen.
Das wäre Sharing mit Caring. Auf was warten wir also noch? Los geht’s! Schließlich sind wir die neue Sharing-Generation.
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