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Slow Dating...

Aktualisiert: 17. Apr. 2023

Ein Hund scheint ein ziemlich perfektes Leben zu haben. Wenn er müde ist, streckt er, unabhängig von seinem aktuellen Standort, einfach alle Viere von sich und fläzt herum. Er muss sich niemals an Tischmanieren halten, sondern kann stattdessen schmatzend aus seinem Napf fressen. Der Hund liebt seine täglichen To Do’s in vollen Zügen, denn sie bestehen darin durch die Natur zu schlendern.


Doch das Allerbeste am Hund ist seine saubere Schnüffelnase, der schnüffelnde Scanner zur perfekten Prüfung des Gegenübers. Einmal kurz am Poppes geschnüffelt und Hund Romeo weiß in Sekundenschnelle, ob er einen Montagues-Freund oder einen Capulet-Feind vor sich hat. Weitere vier Atemzüge durch den schlauen Fährtensucher und er kann sogar seine Julia, seine große Liebe unter all den Hundeweibchen, identifizieren.

Da ist die Frage doch wirklich legitim: Wie viele Singles wären nicht lieber Hund als Mensch auf der Auslaufwiese des dauerhaften Datings? Schließlich besteht das Speed-Dating des Hundes aus einem schnellen Beschnüffeln, während der Mensch dem potenziellen Partner im Internet, in Apps, Bars und Cafés hinterher hechelt.


Das Dating gleicht einem Hindernislauf. Denn identifiziert Mann heutzutage eine attraktive Frau, die alleine in einem Café oder einer Bar sitzt, ist diese Frau meist nicht wirklich alleine. Umzingelt von einer Masse an aufpoppenden Instagram-, Tinder-, Facebook-, und Whats-App Nachrichten lebt sie in der Welt ihres Smartphones.

Dabei verpasst sie diesen netten, jungen Mann, der das Gespräch mit ihr suchen möchte. Gleichzeitig fragt sie sich überrascht, warum sie noch nicht den Richtigen gefunden hat.

Und der Mann? Er sieht die zu großen Herausforderungen in der realen Welt und beginnt eher mit dem »swipen, matchen, chatten« des großen Tinder-Universums. Keine Frage, auch hier besteht eine Chance, die richtige Partnerin zu finden. Doch diese Auslaufwiese ist so groß, dass man mit reizvollen Hundedamen einfach nur überflutet wird. Der Jagdinstinkt des Mannes ist erweckt. Schließlich könnte hinter Tor 3 noch eine anmutigere Dame stecken als hinter Tor 1. Man(n) geht das Risiko des Zonks ein und entscheidet sich gleich für alle drei Tore.

Aus anfänglicher Dating-Schüchternheit wird ein professionelles links-wischen, rechts-wischen, links-wischen, chatten, treffen, weiter-wischen. Das Dating wird zum täglichen Fitnesstraining des Handydaumens.

Auch Frau hat dieses moderne Dating für sich entdeckt und wischt sich in Geschwindigkeit durch das Sammelsurium an Männern, immer auf der Suche nach Mr. Right in ihrem Radius.


Ein wenig gleicht dieses Tinder-Dating dem Speed-Dating des Hundes. Statt der Schnüffelnase versucht der Mensch jedoch anhand eines Bildes auf die ganze Person, den Humor, den Charakter und die inneren Werte zu schließen. Und somit steht jeder einzelne Single vor der größten Marketing-Kampagne seines Lebens. Schließlich entscheidet das perfekte Profilbild, ob man eine Runde weiterkommt oder nicht.

Plötzlich finden sich die Singles in ihren ganz eigenen Folgen von »Germany’s Next Datingmodel« wieder. Wenn die App dann am Abend seufzt: »Heute habe ich leider kein Date für Dich« wird augenblicklich die Performance der gesamten Selbstvermarktung hinterfragt.


Nichtsdestotrotz sollen diese Dating-Tools Frauen und Männern helfen, die Partnersuche neben Beruf, Freunden und Hobbies effizient und schnell anzugehen. Außerdem scheint es doch viel gemütlicher nach Feierabend im Gammellook auf der Couch durch Männerbilder zu scrollen statt auf After Work Events in männlicher Gesellschaft leckere Cocktails zu schlürfen.

MOMENT! STOPP! HALT!

Wann hat sich das Flirten von einer freudigen, knisternden Angelegenheit zu einem To Do in unserem gefüllten Terminkalender entwickelt? Wann wurde das Flirten eher zum Home Office und weniger zur freizeitlichen Outdoor Aktivität? Wohin sind die tiefergehenden, überraschenden Unterhaltungen beim Feierabendbierchen, wohin das spontane und lockere Gespräch bei einem Nachmittagskaffee verschwunden?

Stattdessen unterhält man sich alleine mit seinem Display darüber, wie strahlend man auf dem unnatürlich inszenierten Bild aussieht. Ist das tatsächlich die heutige »Liebe auf den ersten Blick«?


Versteh mich nicht falsch. Es ist gut, dass das digitale Zeitalter auch das Flirten und Daten erreicht hat. Besonders für Personen, die schlechte Erfahrungen in früheren Beziehungen gemacht haben, ist dies ein klasse Weg, um wieder zurück auf den spannenden Singlemarkt zu kommen. Für viele Personen ist es ein lauter Ruf an das Universum, dass man wieder für neue Betthäschen, Lieblingsmenschen, gar Seelenpartner bereit ist. Ein klares, positives Ja also zu Dating-Apps als ersten, leinenlosen Lauf auf der Hundewiese.

Doch ein klares Nein, sich einzig und allein auf diese Art des Flirtens und Kennenlernens zu begrenzen. Und noch ein viel lauteres, vehementes Nein zu dieser hektischen, gar oberflächlichen Wischerei durch das Single-Dasein.


Warum nehmen wir uns nicht ein bisschen mehr Zeit, eine Person besser kennenzulernen? Es sollte einem zu denken geben, dass sich Frauen und Männer früher sogar mehr Zeit genommen haben, um den geeigneten Herzblatt für das romantische Wochenende mit dem »Herzblatt-Hubschrauber« auszuwählen.

Vielleicht lässt auch Du Dir einfach einmal mehr Zeit beim »swipen, matchen, chatten« und konzentrierst Dich nur auf die eine Person in der Tinder-Welt, die Dir auf Anhieb sympathisch ist. Vielleicht lässt Du Dein Handy aber auch einfach einmal in Deiner Tasche und schaust Dich in der Bar oder dem Café um, in dem Du doch so regelmäßig Deine Zeit verbringst. Vielleicht raffst Du Dich aber auch einfach auf und gehst zu dieser Party Deines Arbeitskollegen, gerade weil Du dort fast niemanden kennst. Vielleicht genießt Du einfach einmal dieses reale Flirten und Kennenlernen, denn schließlich hast Du die Möglichkeit nicht nur Deinen zukünftigen Partner, sondern auch mögliche Freunde fürs Leben zu finden.


Wenn Dir dann eine Person gefällt, dann lass es einfach zu und genieße es. Der regelmäßige Blickkontakt über die Menschenmenge... das schüchterne gegenseitige Vorstellen... das leichte Knistern bei der lockeren Unterhaltung... das wilde Kribbeln im Bauch... die erste flüchtige Berührung... die Freude der ersten SMS... das Wiedersehen... der erste Kuss... All das sind Momente, in denen man sich doch einfach die Zeit nehmen darf, genießen darf.

Ignoriere diesen aufkommenden Reiz, währenddessen weitere Tinder-Kandidaten treffen zu wollen. Das ist nur Dein suchtgetriebener Handydaumen, dem das Wischen fehlt. Stelle auch diese lauten Hintergedanken leise, dass die Zeit rennt und man das »Was sind wir?« schnell definieren muss. Du musst gar nichts definieren. Du darfst nur genießen. Ohne gesellschaftliche Zwänge, ohne Zeitdruck, nur Du und diese andere Person. Lass Dich nicht hetzen. Wir werden schon genug durchs Leben gehetzt. Lass das Dating einfach ruhig und leicht angehen, einfach einmal »Slow Dating« sein.


Denn so einfach sich das Speed-Dating des Hundes auch anhören mag, nach dem Rumschnüffeln geht der Hund tatsächlich immer alleine nach Hause.

 
 
 

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