The same procedure as every year?...
- Held Stories
- 2. Jan. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2023
Das Feuerwerk ist vorbei. Alles geht wieder auf Start. Die Weihnachtsdekoration wird langsam wieder in Kisten gepackt. Der neue Kalender hängt bereits an der Wand. Es geht wieder los.
Ein neues Jahr.
Neue Vorsätze.
Neue zwölf Monate, um diese Vorsätze zu brechen.
Ein altes Phänomen.
»Dieses Jahr werde ich wieder mehr Sport machen und richtig fit werden!«.
Wer kennt diese Worte nicht? Wir sind euphorisch, denn dieses Jahr wird es wirklich klappen.
Wir melden uns im Fitnessstudio an, gehen dreimal in der Woche ins Studio. Wir sind die Januar-Fitnesshasen und lieben es. Wir merken, dass uns dieser Sport wirklich gut tut. Wir fragen uns, warum wir nicht schon eher damit begonnen haben. Und dann? Dann erhalten wir unsere Antwort Ende Januar.
Der innere Schweinehund. Nein, diese übergroße, innere Schweine-Dogge stellt sich uns sabbernd in den Weg. So sackt der Plan »Being the Next Schwarzenegger« schon im Februar allmählich zusammen. Spätestens im März akzeptieren wir dann, dass wir mehr Danny DeVito als Arnold Schwarzenegger in unserem eigenen Film »Twins« sind.
Die Besucherzahlen des Fitnessstudios beruhigen sich, die 3kg-Gewichte verstauben wieder in der Ecke, die regulären Sportler atmen erleichtert auf. Sie haben ihr Reich, ihren Platz an den Gewichten, ihr Mucki-Terrain wieder für sich. Naja, zumindest bis zum nächsten Januar.
Doch nicht nur mehr Fitness, auch der Plan einer gesünderen Lebensweise ist einer unserer liebsten Vorsätze. Das ist eindeutig den Fressorgien der Weihnachtstage geschuldet. Wir sehnen uns nach gesünderem, leichterem Essen, wollen uns von Bratensaucen, Knödeln und Fleisch scheiden lassen, im Harem des Allerlei an Obst und Gemüse leben.
»Nur Obst und Gemüse, kein Fleisch« ist unsere neue Devise. Unsere vegetarisch-veganischen Freunde sind erleichtert, dass wir ihren Worten nun endlich mehr Gehör schenken, wir nun endgültig zu ihnen übergelaufen sind. Von diesem Moment an werden wir mit furchtbaren Videos bombardiert. Nämlich von Kochshows, die panierte Soja-Schnitzel und Spaghetti Bolognese mit Räuchertofu zubereiten. Die vegetarischen Profiköche versichern uns, dass wir das Fleisch nicht vermissen werden. Doch nach der fünften Spaghetti Tofunese und dem dritten SoNO-Schnitzel ist es gewiss.
Tofu ist Tofu. Soja ist Soja. Und Fleisch ist Fleisch.
Die Gelüste werden von Tag zu Tag stärker. Man sprintet schneller an der Fleischtheke vorbei, um nicht in Versuchung zu geraten. Man träumt von Fleisch. Man wacht auf und denkt an Fleisch. Man wird verrückt nach Fleisch.
Tatsächlich erscheinen Engelchen und Teufelchen auf Deiner Schulter. »Engel links, Teufel rechts: Lechz! Nimm dir das Hack, das Hack will’s doch auch. Kannst du mir erklären, wozu man Räuchertofu braucht?« »Halt, der will dich linken«, schreit der Engel von der Linken, »Weißt du nicht, dass sowas scheiße ist, Tiermörder stinken«.
Und dann passiert es. Man fragt sich nicht mehr nach dem JEIN, sondern beißt einfach genüsslich in seine Bratwurst rein. Und die vegetarisch-veganischen Freunde? Sie löschen uns wieder aus ihrem Emailverteiler.
»Dieses Jahr werde ich das Laster Rauchen endlich los!«, ruft man laut in die Runde. Die Runde nickt weniger euphorisch zurück, denn sie kennen uns. Sie wissen, dass der Verzicht auf die Fluppe, diesen biestigen Freund, meist schon um 00:20 Uhr in der Silvesternacht gebrochen wird. Nämlich dann, wenn man auf dem Balkon euphorisch und beschwipst den letzten Feuerwerkskörpern nachschaut.
Nehmen wir es mal nicht ganz so genau, die Silvesternacht zählt ja nur so halb. Also beginnt man mit dem kalten Entzug am ersten Januar. Alles erscheint hervorragend, denn durch den traditionellen Neujahrs-Kater hat man sowieso keine Lust auf einen innigen Kuss mit der Zigarette.
Der erste Arbeitstag des Jahres birgt hingegen neue Herausforderungen auf unserem Rauchfrei-Hindernislauf. Denn unsere freundschaftlichen Tabak-Kollegen vermissen uns schon in der Raucherecke. Und uns selbst jucken auch schon die Finger im hektischen Büroalltag. Nur einen winzig kleinen, feinen Zug an diesem beruhigenden, tabakreichen, attraktiven Glimmstengel.
Mit viel Disziplin überlebt man den kalten Entzug im frierenden Januar. Doch spätestens im Februar nehmen die Veranstaltungen, die Partys und damit auch die Versuchungen wieder zu.
Und dann passiert es! Wir schauen wie bei einer Out-of-Body-Erfahrung auf uns selbst hinunter und beobachten, wie wir an Karneval im Panzerknacker-Kostüm an der so schwer vermissten Ziggi ziehen und uns somit wieder selbst die Handschellen der Abhängigkeit anlegen.
»Mehr Zeit für Freunde und Familie« steht neben Fitness und Gesundheit ganz weit vorne auf unserer Will-Do Neujahrsliste.
Der Lebenspartner ist einverstanden. Ihr werdet zum besten Gastgeber-Duo, was man sich nur wünschen kann. Zwischen Fitnessstudio und Nikotinentzug schmeißt ihr die ersten Smoothie- und Vegan Food-Partys für eure engsten Freunde und fernen Bekannten. Die Januar-Stimmung der Gäste ist elektrisierend, denn auch sie folgen ihrem strikten Plan von einer gesünderen Lebensweise und mehr Zeit mit ihren Freunden.
Im Februar sehnen sich die Ersten jedoch schon nach einem feinen Gläschen Wein, um den Hummus runterzuspülen. Die Unterhaltungen werden zäher als Halloumi-Käse.
Von Eurem neuen Event-Business, das ihr aus Versehen gegründet habt, seid ihr vollkommen erschöpft. Ihr fragt Euch, ob ihr »Freunde« richtig definiert habt. Dein Partner fragt sich, ob er dieses »mehr Zeit mit der Familie« durchdacht hat. »Die Schwiegereltern jeden Sonntag besuchen? Nein! Das kann nicht meine Idee gewesen sein!«
Von allen Vorsätzen verabschiedet sich dieser Vorsatz am Langsamsten, aber auch am Unauffälligsten. Aus wöchentlichen werden monatliche Treffen. Spätestens nach Ostern sieht man die Familie wieder in gesunden Zeitabständen. Und bei den Freunden? Auch da hat sich wieder alles richtig eingespielt. Denn seien wir mal ehrlich. Mit den liebsten Freunden hat man sich schon vor Neujahr häufig getroffen, ist gar gemeinsam in das neue Jahr gerutscht.
So ist das mit unseren guten Vorsätzen. Sie gehören dazu wie die lange, nervenaufreibende Silvesterplanung, das Bleigießen, das Feuerwerk, der Kater an Neujahr. Dennoch fühlt man sich schlecht, wenn die Vorsätze gebrochen werden. Schließlich waren es legitime Intentionen, die das nächste Jahr verbessern sollten. Aber haben wir sie wirklich realistisch definiert? Übersteigt das Wohlbefinden, das wir durch Verzicht gewinnen, die Lebensfreude, die wir dadurch verlieren?
Muss ein guter Vorsatz denn immer mit einem kalten Entzug verbunden sein? Warum nicht lieber ein zwölfmonatiges, moderates Programm statt dieser Extreme im Januar?
Wir müssen nicht im Januar dreimal die Woche ins Fitnessstudio gehen, um danach wieder mit unserem Schweinehund auf der Couch zu schmusen. Stattdessen können wir einmal in der Woche trainieren gehen, dafür dann das ganze Jahr. Für diese moderaten Trainingseinheiten bleibt unser Schweinehund sicherlich mal draußen angeleint.
Wir müssen nicht ganz auf Fleisch verzichten, auch wenn unsere vegetarisch-veganischen Freunde anderer Meinung sind. Wie wäre es stattdessen mit dem Vorsatz, nur an zwei (drei, vier oder fünf) von sieben Tagen Fleisch zu essen? Das könnte bestimmt eher klappen ohne dass wir dabei schweinische Träume von Filets und Frikadellen haben.
Wir müssen mit diesen stinkenden Zigaretten aufhören. Dieses Teufelszeug kann man nicht beschönigen. Aber wie (kalter Entzug versus 3 Zigaretten in der Woche) und wann (Neujahr, Sommer, Reformationstag, nächstes Jahr) wir aufhören wollen, das ist ganz uns überlassen. Nur uns, nicht unseren Freunden, nicht unserer Familie.
Apropos Familie und Freunde! Geht es eigentlich wirklich um mehr Zeit oder um eine schöne Zeit mit ihnen? Also was ist uns wichtiger, Quantität oder Qualität? Wenn wir Freunde und die Familie treffen, dann könnten wir einfach einmal hundert Prozent präsent sein. Uns mehr auf unsere Gesellschaft vor Ort statt auf unser Smartphone konzentrieren, das wäre qualitative, wertvolle und wertschätzende Zeit für alle. Und gleichzeitig ein kleiner Appetizer von diesem »Digital Detox«, von dem alle Welt redet.
Also, wie wäre es dieses Jahr mit messbaren, realitätsnahen und gewinnbringenden Vorsätzen, die nicht so schnell gebrochen werden können? Mal nicht »THE SAME PROCEDURE AS EVERY YEAR«.
Irgendwie ein cooler Vorsatz für unsere Vorsätze, oder?

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